Aus dem Leben einer Buchhändlerin



Kunden im Einzelhandel. Man muss sie einfach gern haben. Und das kann man jetzt wörtlich nehmen oder es ironisch verstehen – beide Interpretationen haben ihre Berechtigung. Die meisten Kunden sind ja in Ordnung, sonst würde niemand die vielfältigen Nachteile des Einzelhandels (Arbeitszeiten, Bezahlung, körperliche Belastung) auf sich nehmen. Wer sich aber entschieden hat, dort zu arbeiten, wird früher oder später Zeuge skurriler Begebenheiten, die einem nicht glaubt, wer nicht selbst dabei war. An einige solcher Skurrilitäten, die niemanden ärgern, sondern die einfach nur lustig sind, erinnere ich mich als ehemalige Buchhändlerin in diesem Beitrag zurück.

      

Wie zum Beispiel  an die Kundin, die bei mir ein Buch abholen wollte und hinter der Abholfachtheke nicht mehr zu sehen war, als ich mit ihrem Buch in der Hand aus dem Bestellbüro zurückkehrte. Ich lief daher mit dem üblichen schnellen Buchhändlerstechschritt am Abholfach vorbei, um sie im Laden zu suchen – und wäre ihr fast auf die Haare getreten, weil sie es sich unmittelbar vor der Abholfachtheke auf dem Boden liegend gemütlich gemacht hatte. Sie erklärte mir dann entschuldigend, dass sie solche Rückenschmerzen habe, dass sie damit weder stehen noch sitzen könne, nur liegen wäre okay (wofür ich übrigens jetzt, inzwischen selbst im fortgeschritteneren Alter, vollstes Verständnis aufbringen kann). Ich bat sie trotzdem, den Boden vor dem Abholfach freizugeben, damit keine anderen KundInnen auf sie treten oder über sie stolpern würden. Anstatt dann mit ihrem Buch von dannen zu ziehen, wechselte sie nur die Liegeposition – vom Abholfach vor eins der Bücherregale. „Ist es hier besser?“ Als eine Kollegin genau aus diesem Regal ein Buch heraussuchen musste und ein wenig verstört reagierte, merkte sie, dass es nicht besser war und kehrte wieder in eine aufrechte Haltung zurück.

 

Viele Kunden haben auch etwas überzogene Erwartungen an den Einzelhandel, spezieller an den Buchhandel, wo ich meine Erfahrungen gesammelt habe. Inzwischen haben die Buchhandelsfilialriesen tatsächlich mehr Nonbook als Buch, daher ist es mittlerweile nicht mehr ganz so kurios, wenn man gefragt wird, ob man auch Feuerzeuge, Hornhauthobel oder Bücherregale verkauft. Aber vor einigen Jahren war das schon noch etwas skurril. „Naja, Sie verkaufen ja auch Bücher, da kann es doch sein, dass Sie auch die Regale dafür verkaufen.“ Nein, kann es nicht. Bei Ikea fragen Sie doch auch nicht nach Büchern, nur weil dort Bücherregale verkauft werden.  Oder – vielleicht fragen Sie das doch.

 

Eine liebe Kollegin fasste alle skurrilen Kundenanfragen einmal wie folgt zusammen: „Ich such das Regal mit den Büchern über Lenkräder preußischer Motorräder 1911-1921. Wie, dazu haben Sie nichts? Ich muss das bis morgen noch verschicken!“ Frei erfunden, aber perfekt getroffen. Absolut wahr dagegen sind immer wieder bunte Wortschöpfungen, die mit vollem Ernst hervorgebracht werden – wie zum Beispiel „Ich suche diese Triologie...“ oder „Haben Sie das folgende Bilderband...“ Oftmals wurde dem Taschenbuch sein Daseinsrecht abgesprochen, wenn auf die Frage, in welchem Format das jeweilige Buch gewünscht sei, die Antwort kam: „Als RICHTIGES Buch.“ Von bunter Titelwürfelei ganz zu schweigen. Da wurde aus Doktor Schiwago von Boris Pasternak „Doktor Chicago von Pastor Nack“, „Das Parfum“ hatte nicht Patrick Süskind, sondern Rita Süssmuth geschrieben, und statt Bertolt Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ brauchte eine jugendliche Kundin den „Kraukrasischen Kreisekraus", wurde jedoch sogleich von ihrer Freundin verbessert: „Mensch, du Blöde...das heißt Krausekreis!"

 

Wenn euch das alles schon erfunden scheint, dann kommen wir jetzt zu den Dingen, die einem WIRKLICH niemand glaubt, der nicht dabei war. Oder würdet ihr es glauben, wenn ich euch erzähle, dass eine erwachsene Kundin allen Ernstes auf einem beweglichen Schaukelpferd durch eine Filiale ritt? Ich würde es auch nicht glauben – aber der Beweis existiert als Video, das ich aus Datenschutzgründen natürlich unter Verschluss halten muss.

 

Für Außenstehende vielleicht auch schwer zu glauben: Oft vergessen Kunden im Einzelhandel völlig ihre Manieren, so diese denn ansonsten überhaupt vorhanden sind. Einer Kollegin an der Kasse wurden zum Beispiel im Hochsommer Geldscheine auf den Tresen gelegt, die der Kunde aus seiner triefenden Achselhöhle gezogen hatte (mmmmmhhhhh!!!). Ich durfte während eines Telefonats mit einem Kunden Zeugin eines Toilettengangs werden (Strahl - abziehen - Hände waschen). Und bei allem Verständnis für die Bedürfnisse kleiner Kinder – ein To Go Töpfchen mitten im Laden aufzustellen und das Kind dort hineinmachen zu lassen, ist genauso inakzeptabel wie das Wechseln einer prall gefüllten Windel auf einem Lesemöbel inmitten von KundInnen und BuchhändlerInnen. Für das private Geschäft auch der Kleinsten gibt es immer Möglichkeiten, die nicht mit einer Geruchsbelästigung einhergehen an Orten, wo es höchstens nach Buchseiten duften sollte.

 

Ja, der Einzelhandel ist eine unendliche Quelle an unglaublichen Geschichten. Darum wird diesem Beitrag auf jeden Fall eine Fortsetzung folgen – seid gespannt!

 

Mit bestem Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die bereits für mich ihr Erinnerungsvermögen aktiviert haben.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Carolin Wenzel (Mittwoch, 16 Februar 2022 20:11)

    Einzelhandel oder Bildungsbereich - manche Ideen sind einfach nur "köstlich"... Studiengang Kommunikationswissenschaft? Lernt man da SPRECHEN? Hmmmmm......