Das Los der Eule


10:00 Uhr am Montag, ich sitze im Büro am Rechner und kann keinen klaren Gedanken fassen. Brauche erstmal einen Liter Kaffee, damit ich funktioniere. Mein Verstand kommt trotzdem nur langsam in die Gänge; ich muss mehrfach nachfragen, bevor ich verstehe, was KollegInnen zu mir sagen. Mir ist kalt, und mein Körper möchte mir mitteilen, dass ich eigentlich ins Bett gehöre.

 

19:48 Uhr. Ich liege in unbequemer Haltung auf der Couch, während der Fernseher im Hintergrund mich leise berieselt. Der Raum ist eigentlich viel zu hell zum Schlafen, aber der Tag hat mich geschafft; ich fange an zu dösen, mir fallen die Augen zu. Als ich sie wieder öffne, ist es 23:30h. Zeit, ins Bett zu gehen.

 

23:50 Uhr, ich liege bequem im Bett. Ohrenstöpsel und Schlafbrille sind angelegt, kein Lichtstrahl dringt in meine Augen, kein Laut in meine Ohren. Die Decke muss ich noch ein bisschen zurechtrücken, damit sie keine störenden Falten wirft. Die Blase ist geleert, ich habe die perfekte Schlafhaltung gefunden. Dann: Mein Kopf. Gedanken wie ein Schnellzug. „Wie war das eigentlich heute nochmal mit XY? – Eigentlich wollte ich doch noch das und das machen! Morgen muss ich unbedingt... Mensch, diese eine Sache von vor 15 Jahren ist eeeecht doof gelaufen. Habe ich daran gedacht, dies und jenes zu machen? Ich glaube, ich muss mein Leben von Grund auf ändern, mal sehen, was gibt es so für Möglichkeiten...“ Der neue Gedanke kommt, während der vorangegangene noch nicht zu Ende gedacht ist. Boing! Boing! Boiiiiiing! Ich bin weit davon entfernt zu schlafen. 

 

Das Los der Eule.

 

Inzwischen ist das Phänomen des Biorhythmus schon ein wenig bekannter als noch vor, sagen wir, 30 Jahren. Als ich gerade ins Teenageralter gekommen war, las ich in irgendeinem Wartezimmerblatt, dass die „durchschnittliche Einschlafzeit etwa sieben Minuten“ betrage. Diese Absurdität erzählte ich später lachend einer Freundin – die mir antwortete, dass die für mich unglaubwürdige Information auf sie durchaus zuträfe. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass es nicht so ganz „normal“ war, als Teenager gegen 22 Uhr ins Bett geschickt zu werden und anschließend etwa bis fünf Uhr morgens wachzuliegen. Hellwach. Mein gesamtes Leistungspotenzial aktiviert, aber gezwungen, im Bett zu verdunsten. Der Tiefschlaf kam immer etwa in der letzten Stunde, bevor mein Wecker klingelte. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass ich in der Schule nicht unbedingt zu den im wahrsten Sinne des Wortes „Aufgewecktesten“ gehörte. Wie anders wäre wohl meine Schulkarriere verlaufen, wenn ich ein Morgenmensch gewesen und immer ausgeschlafen im Klassenzimmer erschienen wäre?

 

Es gibt jede Menge Tipps für einen guten Schlaf. Sich tagsüber verausgaben, Sport treiben, abendliche Rituale pflegen, abends nicht mehr am Computer sitzen oder aufs Handy starren und, und, und. Ja, ich habe das alles probiert. Und selbst, wenn sich das im Erwachsenenalter geändert hat – als Kind und als Teenager war ich tagsüber durchaus aktiv. Es waren die 80er und 90er, ohne Computer und Handy, wir waren quasi gezwungen, immer draußen, immer aktiv zu sein. Als Erwachsene arbeitete ich eine Zeitlang in Wechselschichten; gar nicht gut, wenn man unter Schlafstörungen leidet. Und regelmäßig stellte ich mir die Frage: Stehe ich nochmal auf? Oder: Soll ich überhaupt ins Bett gehen? Ich weiß ja, dass ich nicht schlafen werde.

 

Mit gemäßigteren Arbeitszeiten (und ein paar pflanzlichen Hilfsmittelchen) kam zumindest eine gelinde Besserung. Anstatt hellwach zu sein, verbringe ich meine Nächte mittlerweile oft in einem Döszustand. In ziemlich genau der Phase, in der man schon anfängt zu träumen, aber immer noch wach genug ist, um zu wissen, dass man gerade im Bett liegt. Nach mehreren so verbrachten Nächten folgt irgendwann eine Nacht, die zumindest einigermaßen erholsam ist, vermutlich weil ich irgendwann vor Erschöpfung einfach ohnmächtig werde. Dennoch brauche ich auch in einer „erholsamen“ Nacht ein bis zwei Stunden, um einzuschlafen. Eine gute Nacht ist es, wenn ich anschließend wenigstens drei bis vier Stunden durchschlafe, bevor ich wieder wach liege. Das Gefühl, morgens frisch und ausgeschlafen aufzuwachen, kenne ich nicht. Den ständigen Zustand schlafgestörter Menschen fasste Edward Nortons Charakter in Fight Club treffend zusammen: „Wenn man Schlafstörungen hat, ist man immer wach – aber nie richtig.“

 

Die einzige Zeit, in der ich keine Schlafprobleme hatte, war, als ich meine Magisterarbeit schrieb. Das machte ich natürlich nachts, denn ich hatte während meiner Prüfungsphase tagsüber keine Verpflichtungen. Den letzten Satz setzte ich irgendwann um kurz nach vier aufs (digitale) Papier, blieb dann noch ein Stündchen wach und konnte anschließend hervorragend schlafen – wie in jeder dieser Nächte. Oder an jedem dieser Morgen, muss man ja schon sagen.

 

Ich sage oft, dass ich in der falschen Zeitzone geboren wurde. Eigentlich gehöre ich mindestens nach New York (6 Stunden zurück) oder sogar nach Kalifornien (9 gewonnene Schlafstunden!). In zwei Urlauben konnte ich meine Theorie leider nicht bestätigen – aber das kann natürlich auch damit zu tun haben, dass das Schlafen in fremden (und in Kalifornien auch noch alle paar Tage neuen) Betten nicht zu den Spezialitäten schlafgestörter Menschen gehört. Vielleicht klappt es ja irgendwann mit dem Auswandern; dann berichte ich euch in Teil 2, ob ich doch recht hatte mit meiner Theorie.

 

Bis dahin lebe ich weiter entgegen meinem biologischen Rhythmus, denn ein soziales Leben zu führen ist anders nicht möglich. Ich freue mich aber über die Entwicklung, dass mittlerweile neue Arbeitszeitmodelle entstehen, die Nachtmenschen entgegenkommen, und dass (manche) Schulen jetzt eine Stunde später anfangen, auch wenn ich selbst nichts mehr davon habe. Ich fühle mit  allen Eulen und kenne auch das Unverständnis der Lerchen, der Morgenmenschen, die aufgrund mangelnder eigener Erfahrungen meinen, der umgedrehte Biorhythmus sei nur Einbildung. Liebe Lerchen, eine Stunde mehr am Morgen ist für Eulen nicht wirklich viel – aber für uns zählt dafür jede Minute, die wir morgens gewinnen.

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Carolin Wenzel (Mittwoch, 16 Februar 2022 20:03)

    ...ich bin zwar keine Eule, auch nicht richtig Lerche, aber zum Thema ungewollte Schlaflosigkeit und sich-jagende, endlose Gedankenschleifen habe ich mir im letzten Jahr einen reichhaltigen Erfahrungsschatz aufbauen können. Zum Glück hielt das nur ein paar Wochen an, aber ich mag mir wirklich nicht vorstellen, wie es sit, wenn das ein Dauerzustand wäre. Eine ebenso geplagte Freundin hat nun - nach einem normalen Job - einen Job im Homeoffice. Sie erstellt Texte und kann das relativ Zeit-autonom tun - ein wahrer Segen für sie...

  • #2

    Katrin (Dienstag, 28 Juni 2022 19:07)

    Liebe Silke,
    da antworte ich dir doch mal direkt auf deinen Blog Beitrag, weil wir vorhin noch im Büro darüber gesprochen haben.
    Ich bin auch eine Eule und meine Eltern sind früher verzweifelt, weil ich nicht einschlafen konnte. Die Verzweiflung kann ich heute verstehen, wenn meine Kinder abends keine Ruhe geben. Das haben sie von mir.
    Ich selbst habe mein Problem gut in den Griff bekommen, indem ich einfach konsequent erst gegen eins oder zwei ins Bett gehe. Da ich morgens im Alltag um 6:30 Uhr raus muss, kann gar nicht so viel Schlaf zusammenkommen, dass ich abends nicht müde genug wäre - zu MEINER Zubettgehzeit, versteht sich. Ich schlafe hervorragend durch und komme letztendlich mit durchschnittlich 4-5 Stunden Schlaf aus - die erfreulicherweise im Zeitfenster der üblichen Nacht liegen. Auch wenn ich morgens den Wecker jeden! Tag verfluche.
    Wichtig ist eben, dass man sich trotzdem tagsüber kein Nickerchen gönnt, auch wenn man manchmal noch so müde ist.
    Vielleicht ist das ja nochmal eine Idee für den einen oder anderen, wenn alles andere schon erfolglos war.
    Liebe Grüße Katrin