Ich blogge, also bin ich.



 

Gefühlt hat heutzutage jeder seinen eigenen Blog – ganz unabhängig davon, ob das, worüber man etwas berichten möchte, für irgendjemand anderen überhaupt von Belang ist, ganz zu schweigen davon, ob man überhaupt in der Lage ist, das zu Berichtende in eine angemessene, möglichst fehlerfreie schriftliche Form zu bringen.

 

Also warum sollte ich nicht auch mit dem Bloggen anfangen? Schreiben ist schließlich seit vielen Jahren Teil meines Berufes; und jede Menge unwichtiges Zeugs, das außer mir niemanden interessiert, habe ich definitiv zu erzählen.

 

Ein Blog ist ja nicht so viel anders als das gute alte Tagebuch – nur, dass das früher fest verschlossen in einer sicheren Schublade lag und vor fremden Augen strengstens geschützt wurde. Die eigene Wichtigkeit für andere sichtbar zu machen, hat gefühlt etwa mit Sendungen wie „Big Brother“ eingesetzt. Unbedeutende Alltagsmenschen wurden plötzlich zu Stars – und das verleitete andere unbedeutende Alltagsmenschen dazu zu glauben, dass sie in ihrer absolut unbedeutenden Alltäglichkeit ein ähnliches Potenzial bargen, das nur ans Tageslicht gebracht werden müsse. Und da nicht jede/r Gelegenheit bekam, seine/ihre nicht vorhandenen Talente im Fernsehen zu zeigen, wurde das Bloggen erfunden. Form und Inhalt egal – hauptsache, eine Plattform, auf der man sich selbst „irgendwie“ präsentieren konnte, ein Bedürfnis, das scheinbar tief in jedem Menschen schlummert.

 

Gut, in 20 Jahren hat sich natürlich einiges geändert. Zwischen all dem unlesbaren, uninteressanten, naiven Geschreibsel finden sich auch durchaus viele gut geschriebene Beiträge, die nicht nur interessant, sondern auch wichtig sind. Wo jedoch quantitativer Überfluss besteht, wird praktisch unumgänglich zum Großteil lediglich Müll hervorgebracht. Erstaunlich aber ist, dass auch dieser seine „Follower“ hat, und teilweise sogar beachtlich viele. Vergleichbar ist dieses Phänomen wohl nur mit den (*schauder*) Instagram-Influencern. Schöne Menschen, die vor unglaublichen Urlaubskulissen Produkte präsentieren, die niemand braucht – am wenigsten die Influencer selbst. Man erinnere sich zum Beispiel an die Dame, die im Pelzmantel Werbung für vegane Produkte machte. Welcher denkende Mensch nimmt diese Herr- beziehungsweise Damenschaften denn wirklich ernst?

 

Als nicht-schöner Durchschnittsmensch schaut man bisweilen wohl neidvoll auf das, was diese Influencer offenbar verdienen, ohne irgendein nennenswertes Talent zu besitzen und ohne wirklich einen Finger krumm machen zu müssen, während man selbst jahrelang schuftet und dabei kaum mehr als das zum Leben Nötige verdient. Wobei – eben das hinzubekommen, ist vielleicht auch ein Talent. Dennoch stellt sich die Frage, warum diese seelenlosen, leeren Hüllen es überhaupt schaffen, ein so großes Publikum anzuziehen. So viele „Follower“ um sich zu scharen, dass ihr Instagramprofil für die Werbebranche reizvoller ist als jede Plakatwand, obwohl der Mehrwert, den die Profile bieten, eigentlich gleich Null ist. Außer natürlich, man betrachtet gern schöne Menschen vor unglaublichen Urlaubskulissen, ohne dass irgendein echter Inhalt geboten wird.

 

Dazu kommt, dass es zu jedem Thema inzwischen haufenweise selbst ernannte „ExpertInnen“ gibt, die ihre Dienstleistungen und Produkte über gesponserte Werbung und Freebies versuchen, an den Mann und die Frau zu bringen. Social Media-Redaktionspläne für das ganze Jahr! Vorgetexte Werbemails! Vorlagen für Landing Pages! Alles, was du brauchst, um selbst mit deinem eigenen Online-Business durchzustarten. Ich habe ein paar solcher Freebies aus Neugier heruntergeladen. Es stand nichts darin, worauf ich nicht selbst auch schon gekommen war. Dafür bin ich jetzt für viele sinnlose Newsletter angemeldet, in denen mir das wirkliche Wissen nun natürlich kostenpflichtig angeboten wird. Workshop, Seminar, E-Book – der eigene Erfolg zum Greifen nah!

 

Im 21. Jahrhundert kann jeder alles sein. Man findet Antworten auf alle Fragen, Hilfe in jeder Lebenslage, jeder ist wichtig, jeder ist perfekt, jeder kann tun, was immer er oder sie sich erträumt hat – so scheint es jedenfalls, wenn man sich einen Tag lang durch Instagram gescrollt hat. Und abends geht man dann ins Bett in dem Wissen, dass man am nächsten Tag wieder zum ganz normalen Job und ins ganz normale Leben zurückkehren muss.

 

Es gibt kein Einzelthema, zu dem ich als Expertin bloggen könnte. Meine Instagramprofile dümpeln followermäßig im Bereich „Unsichtbar“ umher. Die Themen, über die ich schreiben möchte, sind so bunt gemixt wie Zutaten eines Eintopfes und werden sicher keine bemerkenswerte Reichweite erzielen. Aber das soll mich nicht davon abhalten, mir nun auch hin und wieder das ein oder andere einfach von der Seele zu schreiben. Wie früher mit dem guten alten Tagebuch. Nur dass das Schloss jetzt weit geöffnet ist.

 

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